Berlin – Buletten, Bockis und Bemmen? Alles kalter Kaffee! Das neue Berlin hat längst sämtliche Grenzen überwunden und das auch im kulinarischen Sinn.
Was dich heute in Berliner Küchen erwartet sind die Einflüsse all jener die den Weg hier her gefunden haben. Menschen kommen, bleiben und gehen – was ein jeder von ihnen mitbringt ist ein Stück Heimat. Da sich Regionalität besonders auf den Tellern der Welt ausdrückt, ist Berlin zur Zeit die heißeste Suppenküche im Game. Also lass nichts aufm Herd stehen und folge mir zu Fuß auf einen aromenreichen Nachmittag durch Kreuzbergs Katakomben und Friedrichshains Favelas.
Bevor der Rundgang starten kann, solltest du es dir erst einmal im Ali Baba (Boxhagener Platz) zur Stärkung bequem machen, und zwar zum Brunch.
Hier kannst du dir ohne Zeitdruck, bei Humus, deftigen Gratins, arabischen Fingerfood und mit Kardamon und Nelken gewürzten Kaffee diesen nährstoffreichen Walkingguide durchlesen und die Route dafür heraussuchen. Vorsicht vor dem Straßenverkehr und dem frühzeitigen Versacken im Ali Baba!
Am Boxi vorbei geht’s zur Simon-Dach-Straße. Auf dem kurzen Weg dorthin wirst du wahrscheinlich – ohne es mitbekommen zu haben – inmitten des Wochenendflohmarktes stehen und nach alten Vinylplatten, Büchern, Sonnenbrillen, Schmuck oder Shirts kramen. Und schließlich feilschen, was das Zeug hält! Das macht durstig, also schnell weiter.
Im Gentle Jaunts (Simon-Dach-Straße, Friedrichshain) wird zweierlei genossen. Für die Gaumenfreude sorgt die glücklich badende Kugel Vanilleeis im Kaffee und für die Augenfreuden präsentieren sich nicht minder glückliche restaurierte Rennräder des letzten Jahrhunderts.
Nostalgie unter einer frischen Schicht Lack: So Berlin!
Weiter geht’s über die Oberbaumbrücke. Die Mauer und die alten Schießstände der ehemaligen DDR werden skeptisch beäugt wie hässliche Narben. Die Molecule Men gehen noch immer aufeinander los. Neonröhren spielen Schere – Stein – Papier. Vor den Clubs stehen die Nimmermüden Schlange. Der Appetit trägt dich über die Spree.
Die Markthalle Neun in der Eisenbahnstraße, Kreuzberg, lädt am Wochenende hunderte Feinschmecker zu regionalen sowie internationalen Köstlichkeiten ein. Unter einem Dach sammeln sich Käsevirtuosen, Tapas-Stapler, Brandenburger Bio-Bauern und Tofu Tussis. Alles in Farbe und olfaktorisch unbedenklich. Fragen zu den Produkten sind ausdrücklich erwünscht und wenn man schon mal im Gespräch ist, wandert gut und gerne auch mal ein Stück zum Probieren über die Theke. Die perfekte Gelegenheit also, mal eine Auszeit von Snapshat und Selfies einzulegen und die besondere Atmosphäre zu genießen.
Mutti wusste schon damals was gut für dich ist, daher geht’s nach dem Naschen zum Verdauungsspaziergang. Unweit der Markthalle befinden sich die Künstlerwerkstätten des Bethanien. Ständig wechselnde Ausstellungen zu aktuellen Themen bringen nicht nur Abwechslung in die einstigen Krankenhausgemäuer sondern auch in den Kopf.
Das Kaffee der drei Schwestern im Bethanien heißt jeden Besucher nach einem Galeriebesuch willkommen, um bei Espresso oder frischgepressten Orangensaft im ruhigen, baumreichen Innenhof die neuen Eindrücke einzuordnen.
Die drei Schwestern haben sich anscheinend auch weit nach ihrer aktiven Zeit dem Humanismus verschrieben, was sich anhand der günstigen Preise ausdrückt. Danke, Schwestern!
Auf so viel Nächstenliebe sollte man anstoßen! Am besten doch gleich um die Ecke in der Apothekenbar am Mariannenplatz nähe Kottbusser Tor, dem Apotheker, dem du vertrauen kannst.
Ethanol, Saccharose, Fermentation – hier kennt man sich aus. Während du Google fragst, was man eigentlich unter Fermentation versteht, werden dir in stilechtem Ambiente samt Ledersofas, schummriger Beleuchtung und viel dunklem Holz schon Lösungen namens Lavender Old Fashioned und Moscow Mule eingeschenkt. Die anschließenden biochemischen Abläufe erspare ich dir an dieser Stelle. Aber so viel sei gesagt: Entspannter lässt es sich in der Gegend kaum trinken!
Trinken macht hungrig. Nichts Neues vielleicht, aber brandheiß ist der Trend, der aus Korea den weiten Weg über Taiga & Tundra nach Berlin gefunden hat. Für dich geht’s aber erst einmal vom Kottbusser Tor zurück zur Warschauer Straße. Die Ubahnlinie 1 (U1) bringt dich am schnellsten und bequemsten zurück. Du bist ja heute schließlich schon genug gelaufen.
In der Seoulkitchen (Warschauer Straße, Friedrichshain) werden in heißen Steinschüsseln dampfendes Bi Bim Bap, fein gewürztes Kimchi und pompöse Sushivariationen auf rustikalen Massivholztischen kredenzt. Neben authentischen Essen und Soju (Süßkartoffelwodka) trumpft das Seoulkitchen auch mit unheimlich nettem Personal auf. So nett, dass es dem gemeinen Berliner im wahrsten Sinne schon Unheimlich vor kommt.
Mit der Schale Reis und den Stäbchen in der Hand, sitzt man bereits gedanklich tief in Gangnam, bis die ratternde U1 daran erinnert: Du bist in Berlin.
Weil irgendwann auch mal gut sein muss mit Futtern, sehnt sich der volle Magen nach einer Erholung. Der Körper nimmt sich bekanntlich was er braucht. Im Regelfall entscheidet er sich fürs Bett und so geht ein Tag des Frönen und Frohlockens vorüber.
Viel Spaß in Berlin und schaut beim Ablaufen dieser Food-Route immer schön nach links und rechts. Es gibt noch genug zu entdecken.
- Herwig Buhrow